Warum ist ein Scrum Master kein Projektmanager?

Bild: eine Person arbeitet am Taskboard

In einem zunehmend dynamischen und komplexen Geschäftsumfeld setzen Unternehmen gerne auf „agile“ Arbeitsmethoden. Sie reorganisieren reflexartig ganze Unternehmensbereiche in „agile Teams“ und ordnen den Menschen neue agile Rollen zu. Ein besonders beliebter Ansatz: Projektmanager werden zu Scrum Mastern, weil das ja ohnehin nahezu dasselbe wäre. Ein Irrtum, der so manche agile Transformation gefährdet.

 

Aus Projektmanagern werden Scrum Master?

Mit dem Wechsel zu agilen Arbeitsweisen nimmt der Bedarf für klassisches, planungsgetriebenes Projektmanagement ab. Damit stellt sich im Unternehmen die Frage, welche Aufgaben Projektmanager in Zukunft wahrnehmen werden. Oftmals lautet die Schlussfolgerung: Wir machen Projektmanager zu Scrum Mastern – das ist ohnehin nahezu dasselbe!

Es ist natürlich völlig in Ordnung, einen Projektmanager zu einem Scrum Master auszubilden. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass es keinen großen Unterschied gibt zwischen dem gibt, was die Person bisher gemacht hat und dem, was sie zukünftig tun soll.

 

Projektmanager und Scrum Master ist nicht dasselbe

Lyssa Adkins stellt in ihrem Buch „Coaching Agile Teams – A Companion for Scrum Masters, Agile Coaches, and Project Managers in Transition“ klar, dass die Rolle des „Projektmanagers” und die Rolle des „Scrum Masters” nichts miteinander zu tun haben:

„A Project Manager plans and controls, supervising throughout. A Scrum Master guides. A project manager’s success equals the success of the project. A Scrum Master’s success equals the Team’s continual improvement and their pursuit of high performance. The two are focused on completely different things and thus act completely differently. For these reasons, the road from Project Manager to Scrum Master may be a bit longer than others. Core underpinnings of Project Management are replaced.”

Das bedeutet: sich „Scrum Master” zu nennen, aber in der Rolle des „Projektmanagers“ weiterzumachen, geht nicht.

 

Zwei Tage Training machen noch keinen Scrum Master

Wer viele Jahre oder Jahrzehnte als Projektmanager gearbeitet hat, der kann nicht von heute auf morgen seine hart erkämpften Werte und Prinzipien über Bord werfen. Schon gar nicht, wenn er von der Linienorganisation zum „Scrum Master” ernannt wird und ein 2-Tages-Training als Fundament für seine neue Rolle bekommt. Jeder neue Scrum Master braucht mindestens 3-6 Monate Begleitung und Coaching durch einen erfahrenen Scrum Master oder Agile Coach.

 

Gravitation wirkt – wer zweifelt daran?

Das Coaching eines neuen Scrum Masters beginnt bei der Auseinandersetzung mit den Werten und Prinzipien, die ihm als Projektmanager bisher Halt und Motivation in der täglichen Arbeit gegeben haben. Lyssa Adkins schlägt vor, sich dabei am Bild der Gravitation als Naturgesetz zu orientieren: Wir akzeptieren die Gravitation ohne Diskussion. Sie ist immer da und lässt sich nicht hinterfragen. Gleiches gilt auch für neue Business-Gesetze in einer zunehmend dynamischen, volatilen und komplexen Geschäftswelt, die wir akzeptieren müssen, wie beispielsweise:hahnicht hinterfragen. Gleiches gilt auch für neue Business-Gesetze in einer zunehmend dynamischen, volatilen und komplexen Geschäftswelt, die wir akzeptieren müssen, wie beispielsweise:

  • Die Geschäftswelt bewegt sich rasend schnell. Es entstehen laufend Situationen, die niemand vorhersehen konnte.
  • Die Bedürfnisse der Kunden verändern sich laufend.
  • Was ein Team leisten kann, weiß nur das Team selbst.
  • Man kann kein Commitment für jemand anderen eingehen und dann davon ausgehen, dass sich diese Person gemäß dem eigenen Commitment verhält.
 
 

Projektmanager halten gerne reflexartig an planungsgetriebenen Werten und Prinzipien fest, um diesen neuen Business-Gesetzen zu begegnen, vor allem wenn der Erwartungsdruck steigt. Das hat aber wenig Aussicht auf Erfolg.

John P. Kotter meint dazu in seinem Buch „Accelerate: Building Strategic Agility for a Faster-Moving World”: „The world is now changing at a rate at which the basic systems, structures, and cultures built over the past century cannot keep up with the demands being placed on them”. Siehe https://www.kotterinc.com/book/accelerate/

Daniel Pink verdeutlicht in seinem Buch „Drive -The Surprising Truth About What Motivates Us “, dass Wissensarbeiter – beispielsweise Mitarbeiter in Projekten –  durch äußere Anreizen wie Geld und Prestige oder durch „Zuckerbrot und Peitsche“ nicht zu motivieren sind. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=u6XAPnuFjJc

 

Projektmanager müssen neue Werte und Prinzipien annehmen

Um die neuen Business-Gesetze zu akzeptieren und damit erfolgreich zu sein, braucht es neue Werte und Prinzipien. Lyssa Adkins schlägt dazu vor:

Planungsgetriebene Prinzipien Zu ersetzen durch
Wir können alle Arbeit planen und wir arbeiten nur so, wie wir geplant haben. Planen ist wichtig, aber ein fixierter Plan ist wertlos.
Die Planungsfaktoren Budget, Leistungsumfang (Scope) und Zeit (Meilensteine) sind fixiert (Iron Project Management Triangle) Zeit und Budget (Ressourcen) werden konstant gehalten. Aber der Leistungsumfang (Scope) ist variabel.
Ein Plan wird im Laufe der Zeit immer präziser durch die Phasen, die ein Projekt durchläuft: Requirements, Design, Entwicklung, Test, … Ein Plan wird im Laufe der Zeit immer präziser, weil er laufend angepasst wird an die Gegebenheiten der Realität und an die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Teams.
Erfolg bedeutet, den fixierten Leistungsumfang in der vorgegebenen Zeit und dem dafür allokierten Budget zu liefern. Erfolg bedeutet, möglichst schnell und laufend Wert für Kunden zu generieren.
Der Leistungsumfang ist vorab fixiert. Jede Veränderung muss über Change Requests verhandelt werden. Der Leistungsumfang ist flexibel. Jede Veränderung ist willkommen, weil sie das Projekt der Realität näher bringt.
Laufendes Controlling über einen präzisen, fixierten Projektplan ist die wichtigste Aufgabe. Controlling über einen fixierten Projektplan ist unmöglich. Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Teams und volle Transparenz zum Lieferfortschritt sind wichtige Controlling-Faktoren.
Fortschritt ist messbar über erledigte Tasks und die Einhaltung von Lieferungen für die vorgegebenen Meilensteine. Fortschritt ist messbar über den Wert, der bei den Kunden tatsächlich ankommt.
   

Woran ist erkennbar, ob ein Projektmanager zu einem Scrum Master wird?

Lyssa Adkins benennt konkrete Beobachtungen, an denen sich festmachen lässt, ob ein Projektmanager die Transformation zum Scrum Master erfolgreich durchläuft:

  • Legt den Fokus auf die Zusammenarbeit des gesamten Teams und nicht mehr auf die Koordination von Individualleistungen.
  • Ist mehr ein Katalysator für das Wachstum des Teams und weniger ein Fachexperte.
  • Investiert mehr in die Performance des gesamten Teams und weniger in die Fertigstellung bestimmter Lieferpakete zu einem bestimmten Meilenstein.
  • Fragt immer zuerst das Team um Antworten und gibt nicht alle Antworten gleich selbst.
  • Lässt das Team seine Arbeitsweise selbst bestimmen und ist kein Micromanager.
  • Vermittelt dem Team Sinn, Bedeutung und Wichtigkeit und treibt keine Ergebnisse gemäß Projektplan ein.
  • Lenkt das Augenmerk auf die laufende Generierung von Kundenwert (was ist jetzt das Richtige für den Kunden), und nicht auf Meilenstein-Lieferungen für ein bestmögliches Gesamtpaket.
  • Bringt Probleme zur Lösung in das Team und ist nicht immer selbst derjenige, der die Probleme für das Team löst.

 

Was wäre ein erster sinnvoller Schritt?

Es ist völlig klar, dass Projektmanager die hart erarbeiteten Werte und Prinzipien einer planungsgetriebenen Projektumsetzung nicht über Nacht ersetzen können durch agile Werte und Prinzipien.

Aber jeder neu nominierte Scrum Master, der zuvor als Projektmanager gearbeitet hat, sollte sich die folgenden Fragen stellen: Bin ich bereit, meine bisherigen Überzeugungen aufzugeben und mich auf die neuen Business-Gesetze einer zunehmend dynamischen, volatilen und komplexen Geschäftswelt einzulassen? Habe ich die Neugier, das Interesse und die Offenheit, einen anderen Weg einzuschlagen? Bin ich zutiefst davon überzeugt, dass es der richtige Weg für das Unternehmen ist?

Lyssa Adkins beschreibt zehn typische Wesensmerkmale eines Scrum Masters, die auch jeder Projektmanager inne haben sollte, der sich auf die Reise zum Scrum Master begibt:

  1. Hat ein intuitives Gespür für die Emotionen, die in einem Raum voller Menschen vorhanden sind.
  2. Kümmert sich lieber um die Menschen, die großartige Ergebnisse zustande bringen, als um die Ergebnisse selbst.
  3. Bewahrt sich eine natürliche, kindliche Neugier und stellt laufend Fragen, um mehr zu erfahren. Er weiß, dass er nicht alles wissen kann.
  4. Glaubt an das Gute in den Menschen.
  5. Agiert im Moment mit den Teams, weil morgen alles anders sein kann.
  6. Ist lernbegierig und wissensdurstig. Er will jeden Tag weiter wachsen, so wie das Team, das er begleitet.
  7. Glaubt daran, dass alle Menschen zu großartigen Dingen fähig sind, wenn man sie arbeiten lässt und ihnen das Vertrauen dafür gibt.
  8. Hat wenig Verständnis für institutionelle und bürokratische Hindernisse, die die Teams daran hindern, großartige Dinge zu tun. Ansagen wie „Das war schon immer so” oder „Wir wissen, dass das ineffizient ist, aber so arbeiten wir hier nun mal“ treiben ihn zur Weißglut.
  9. Kann sich darauf einlassen, dass jede Veränderung auch Unordnung und Leistungseinbußen mit sich bringt.
  10. Riskiert, mit Experimenten auch mal falsch zu liegen. Er übernimmt Verantwortung für Fehlschläge, lernt daraus und probiert etwas anderes.

 

Fazit und Take-Away

Liebe Projektmanager, seid Ihr bereit, Eure persönliche Reise als Scrum Master im Unternehmen zu starten? Der erste kleine Schritt: bitte versteht, dass „Scrum Master” nicht einfach ein anderes Wort ist für „Projektmanager”. Und erklärt das mit Nachdruck jedem in Eurem Unternehmen!

 

Dieser Beitrag wurde von Karl Mayrhofer, Agile Enterprise Coach bei UNIQA Insurance Group AG, erstellt.